Über den Recht­schreib­duden

In diesem Interview spricht Dr. Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion, über den neuen Rechtschreibduden. 3 000 neue Wörter haben es in die 28. Auflage geschafft.

Dr. Kathrin Kunkel-Razum

Warum erscheint jetzt ein neuer Duden?

Kunkel-Razum: Eine Neuauflage des Rechtschreibdudens erscheint alle drei bis fünf Jahre. Ausschlaggebend für diesen Termin war die dynamische Wortschatzentwicklung in den letzten Jahren. Sie betrifft vor allem die Bereiche Verkehr/Mobilität, Technik, Umwelt, Politik/Verwaltung, die Gleichstellung der Geschlechter und nicht zuletzt natürlich auch die Corona-Pandemie.

Hinzu kommt, dass die DIN 5008, das ist die Norm, die das Verfassen von (Geschäfts)briefen, Mails u. Ä. regelt, Anfang 2020 in einer neuen Fassung erschienen ist. Wir bilden die damit einhergehenden Änderungen im Abschnitt „Die formale Gestaltung von Texten“ ab. Und nicht zuletzt wollten wir auf die zahllosen Anfragen an die Dudenredaktion reagieren, die das Thema geschlechtergerechter Sprachgebrauch berühren. Hier geben wir nun auf drei Seiten einen Überblick über die Möglichkeiten, die das Deutsche für das Gendern bereithält.

Welche neuen Wörter haben es in den Duden geschafft?

Kunkel-Razum: Diesmal haben wir rund 3 000 Stichwörter neu aufgenommen. Damit hat sich die Gesamtzahl der Einträge im Wörterbuch auf 148 000 erhöht. Wie schon gesagt, besonders stark vertreten sind die Bereiche Verkehr/Mobilität, Umwelt, Verwaltung und Politik, das Gendern und nicht zuletzt – bedingt durch Corona – Medizin/Gesundheitswesen.

Wie wählen Sie neue Wörter aus?

Kunkel-Razum: Wir analysieren den Sprachgebrauch der letzten Jahre mithilfe unseres Dudenkorpus. Das ist eine riesige elektronische Textsammlung, die derzeit rund 5,6 Milliarden Wortformen umfasst. Diese Sammlung können wir nach verschiedenen Kriterien auswerten, u. a. danach, wann welche Wörter neu in das Korpus gekommen sind. Wenn man dann noch die Faktoren Häufigkeit, Breite und Dauer des Auftretens eines Wortes mit einbezieht, hat man schon eine sehr gute Grundlage für die Auswahl der Kandidaten. Aber auch die Nutzerinnen und Nutzer unserer Wörterbücher machen uns auf neue Wörter aufmerksam, und wir selbst, die wir in der Redaktion arbeiten, gehen natürlich mit sehr offenen Augen und Ohren durch die (Sprach)welt.

Welche Wörter wurden aus dieser Auflage gestrichen und warum?

Kunkel-Razum: Wir haben diesmal umfassender gestrichen als in der Auflage von 2017, insgesamt haben wir rund 300 Stichwörter aus dem Duden verabschiedet. Hier haben wir ähnlich gearbeitet wie bei der Auswahl der Neuaufnahmen: Wir haben den Stichwortbestand der 27. Auflage mit dem Korpus abgeglichen und die Wörter, die nur noch sehr, sehr selten auftraten, wurden zu potenziellen Streichkandidaten.

Gestrichen haben wir vor allem, weil wir bei einem gebundenen Buch natürlich immer etwas auf den Umfang achten müssen, der nicht beliebig erweiterbar ist. Und ein wenig ist es eben auch wie mit alten Freundschaften: Nicht alle halten, nicht alle Wörter werden noch benutzt, Zeit, sich von ihnen zu verabschieden. Was ja nicht heißt, dass man nicht noch oft und gern an sie denkt, schließlich haben sie einen lange begleitet.

Täuscht der Eindruck oder nimmt der Anteil der Anglizismen, also der englischsprachlichen Begriffe, immer mehr zu?

Kunkel-Razum: Der Anteil der Anglizismen steigt, das ist offenkundig. Das hat natürlich einerseits damit zu tun, dass viele technische und kulturelle Neuerungen aus den englischsprachigen Ländern stammen und samt ihrer Benennung von uns übernommen werden. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Fremdsprachenkenntnisse, so auch die des Englischen, hierzulande immer weiter wachsen, viele Menschen international arbeiten und sich dabei auch der englischen Sprache bedienen und somit die Hemmschwellen für den Gebrauch von Anglizismen niedriger werden. Und Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, um hier zu leben und zu arbeiten, sprechen zunächst oft kein Deutsch, sodass Englisch als Mittlersprache fungiert, was sicher auch Spuren hinterlässt.

Welchen Anteil haben lateinische, griechische oder französische Wörter im deutschen Wortschatz?

Kunkel-Razum: Sie spielen nach wie vor eine beträchtliche Rolle, weil sie ja einen wesentlichen Kern unserer Sprache darstellen, der nicht einfach unwichtig wird oder verschwindet. Aber es kommen derzeit nicht so viele einfache Wörter aus dem aktuellen Griechischen oder Französischen zu uns. Als Internationalismen oder Wortbildungsbestandteile finden wir sie aber häufig – Reparaturcafé, Akademisierungswahn oder Abgasmanipulation sind nur einige Beispiele.

Welches sind Ihre Lieblingswörter aus den Neuaufnahmen?

Kunkel-Razum: Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten, weil es immer so viel schöne bzw. spannende und wichtige Wörter gibt, wie soll man da auswählen? Und man kann der Auswahl auch sehr unterschiedliche Kriterien zugrunde legen: Bei aufploppen hört man ja geradezu den Plopp, Bartöl finde ich wegen der dahinterliegenden Ausdifferenzierung der (Kosmetik)welt spannend, Ceviche esse ich gerne, die Durchimpfungsrate klingt furchtbar technokratisch, sie ist aber wichtig für unser aller Gesundheit, über die Menge an Erklärvideos staune ich, aber vielleicht ist mein Lieblingswort diesmal der Gänsehautmoment.