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Wort des Jahres 2009: „Abwrackprämie“

Glosse zum Wort des Jahres 2009 von Dr. Jochen A. Bär, Herausgeber des Titels „‚Von aufmüpfig bis Teuro‘ – Die ‚Wörter der Jahre‘ 1971-2002“ aus der Reihe „Thema Deutsch“

Um den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise (Wort des Jahres 2008) in Deutschland entgegenzuwirken, beschloss die Bundesregierung im Januar 2009 die Einführung einer sogenannten Umweltprämie: Kfz-Besitzer, die ein mindestens neun Jahre zuvor erstmals zugelassenes Auto verschrotten ließen, um stattdessen einen schadstoffärmeren Neuwagen oder Jahreswagen anzuschaffen, wurden dabei mit 2 500 Euro vom Staat unterstützt. Zunächst „nur“ mit 1,5 Milliarden Euro veranschlagt, erhöhte die Große Koalition das Fördervolumen im April auf insgesamt fünf Milliarden Euro. Das Geld war beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu beantragen; geschöpft wurde es aus dem Investitions- und Tilgungsfonds, einem Sondervermögen des Bundes.

Obgleich in der Sache keineswegs unumstritten – von „Auto-Populismus“ sprach beispielsweise die Zeit (8.4.2009) –, erfreute sich die Umweltprämie großer Beliebtheit: Bereits am 2. September konnten keine Anträge mehr entgegengenommen werden, da die Mittel verbraucht waren. Als Wort hingegen spielte sie in der Bevölkerung keine besondere Rolle; umgangssprachlich machte vielmehr der Ausdruck Abwrackprämie die Runde. In Zahlen ausgedrückt: Gut 250 000 Internetbelegen für Umweltprämie standen Mitte November 2009 etwa fünfmal so viele Nachweise für Abwrackprämie gegenüber.

Das Wort des Jahres 2009 ist keineswegs neu; im digitalen Korpus COSMAS des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache finden sich etliche Belege aus früheren Jahren, der älteste schon für 1994. Grammatisch liegt ein Determinativkompositum vor, ein zusammengesetztes Substantiv also, bei dem das Erstglied das Zweitglied näher bestimmt. Prämie kommt vom lateinischen praemium (= ‚Vorteil, Auszeichnung, Belohnung‘); man erhält sie in diesem Fall dafür, dass man etwas, konkret eben ein altes Auto, abwrackt, d. h. außer Betrieb setzt. In dem Verb steckt das Substantiv Wrack, ursprünglich ‚das auf dem Wasser Treibende‘, heute allgemein etwas Schadhaftes, nicht mehr Brauchbares (aufgrund der Wortherkunft insbesondere ein Schiff). Verwandt ist es mit rächen, das ebenfalls ursprünglich den Begriff des Treibens – hier: des Jagens und feindseligen Verfolgens – in sich trägt.

Wörter, die mit wr- beginnen, sind in der Regel niederdeutschen Ursprungs und in der heutigen Allgemeinsprache selten. Das zehnbändige Duden-Wörterbuch nennt neben Wrack lediglich acht Ausdrücke, darunter Wrasen ‚dichter Dunst‘, wringen ‚etw. mit beiden Händen in gegenläufiger Richtung drehen‘ und Wruke ‚Kohlrübe‘.

Die 2009 belegte Vielfalt der Abwrack-Komposita – vom Abwracktopfund dem Abwrackeffektüber die Abwrackgewinnerbis hin zur (kritisch gemeinten) Abwrackparty und zum Abwrackchaos – macht deutlich, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache ein echtes „Jahreswort“ gewählt hat. Je nach Sichtweise konstatierten die Medien einen „Abwrack-Boom“ (Spiegel, 4.8.2009) oder einen „Abwrack-Wahn“ (Süddeutsche Zeitung, 1.4.2009). Als „Abwrack-Muffel“ (Tagesspiegel, 18.8.2009) erschienen jedoch die Berliner, die nur knapp zwei Prozent aller Abwrackanträge stellten.

Jochen A. Bär

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